“In Zukunft wird die Werkstatt einen Bremsbelag nicht mehr tauschen, weil er auf einen Millimeter runtergefahren ist, sondern weil er verrostet ist.”

Marco Loth, Vice President Global Aftermarket Category Management and Commercial Director (MEAAP)

Bremsexperte im Interview:

Marco Loth

Marco Loth, Vice President Global Aftermarket Category Management, Pricing, Purchasing and Engineering und Commercial Director für die Region Middle East, Africa, Asia & Pacific (MEAAP) bei TMD Friction

Im Interview verrät Marco Loth, Vice President Global Aftermarket Category Management, Pricing, Purchasing and Engineering und Commercial Director für die Region Middle East, Africa, Asia & Pacific (MEAAP) bei TMD Friction, wie der weltweit führende Hersteller von Scheiben- und Trommelbremsbelägen dem Markttrend Elektromobilität begegnet, um Handel, Werkstätten und Leasinggesellschaften als Friction Expert mit seinem Markenportfolio in die Mobilität der Zukunft zu begleiten.

Kurzprofil

Marco Loth hat langjährige Erfahrung im Automotive Aftermarket in Europa, Middle-East, Africa, Asia-Pacific sowie China. Seit seinem Einstieg in die Branche vor über 23 Jahren hat er zahlreiche regionale Vertriebsorganisationen aufgebaut. Allein acht Jahre lebte und arbeitete er in Singapur, Istanbul und Dubai. Bei TMD Friction verantwortet er als Vice President das Globale Category Management/Pricing/Engineering.

Weiterhin leitet er unter anderem das Aftermarket-Geschäft im gesamten MEAAP-Raum mit Büros in Dubai, Shanghai und Singapur. Mit seinen profunden Kenntnissen der Region und seiner Fähigkeit, sich auf unterschiedliche kulturelle Kontexte einzustellen, treibt er nun die Präsenz von TMD Friction im gesamten MEAAP-Raum voran.

Markttrend Elektrifizierung – was bietet TMD Friction seinen Kunden, um den damit verbundenen Anforderungen zu begegnen?

„Als Erstausrüster für den BMW i8 oder i3 waren wir einer der ersten Hersteller, die Bremsbeläge für elektrische Fahrzeuge entwickelt haben und liefern unter anderem Produkte für die ID-Plattform von VW. Auch mit Tesla arbeiten wir zusammen. Hier sind wir als Friction Expert genau richtig, denn die individuelle Materialabstimmung ist beim E-Fahrzeug noch wichtiger als beim Verbrenner. TMD Friction deckt mit seinem Textar-Ersatzteilprogramm aktuell 99 Prozent der europäischen Fahrzeugflotte an E-Fahrzeugen und Hybriden ab. So unterstützen wir den freien Ersatzteilmarkt dabei, auch bei neu eingeführten Modellen konkurrenzfähig zu bleiben.“

Welche Anforderungen an den Bremsbelag bringt der elektrische Antrieb mit sich?

„Es gilt, ganz andere Anforderungen zu berücksichtigen. Elektrofahrzeuge haben von sich aus einen viel geringeren Geräuschpegel. Die Geräusche des Bremsvorgangs dürfen natürlich nicht lauter sein als das Fahrzeug selbst. Als Friction Expert haben wir ein Team von Spezialisten, das sich ausschließlich mit dem Thema Noise, Vibration und Harshness befasst.

Zudem besitzen wir die Materialkompetenz, um einen Belag zu entwickeln, der einerseits nicht so aggressiv ist, um die Geräuschentwicklung zwischen Belag und Scheibe zu minimieren, und andererseits aggressiv genug, um eine gute Performance zu liefern und die Bremsscheiben frei zu bremsen, das heißt von Ablagerungen und Korrosion zu befreien, die durch die geringe Nutzung entstehen – denn durch das rekuperative Bremsen von E-Fahrzeugen wird die Reibbremse seltener genutzt. Diese Erfahrungen zahlen sich auch für den IAM aus.“

Bietet das Textar Programm auch einen speziellen Belag für Elektroautos an?

„Anders als viele Wettbewerber, die zum Beispiel eine große Bandbreite an Bremssystemkomponenten abdecken, aber im Bereich Reibprodukte lediglich mit Standardlösungen arbeiten, entwickeln wir seit mehr als 100 Jahren eigene anwendungsspezifische Mischungen für Reibbeläge. Wir haben unser eigenes Entwicklungs- und Testzentrum und dort in mehr als drei Jahrzehnten rund 50.000 Rezepturen entwickelt. Diesen Aufwand betreiben wir, weil kaum ein Bremsenbauteil die Bremsleistung und das Bremsgefühl mehr beeinflusst als der Bremsbelag – das wird oft unterschätzt. Daher brauchen wir bei Textar im Gegensatz zum Wettbewerb, der spezielle ‚grüne‘ Bremsbeläge für E-Autos vermarktet, auch kein spezielles Programm für den freien Markt. Wir sind in der Lage, maßgeschneiderte Beläge nach OE- Spezifikation und Lösungen für die Zukunft der Mobilität anzubieten.“

Werden sich die Bedarfe neuer Bremsscheiben und/oder -beläge durch elektrisch angetriebene Fahrzeuge verschieben?

„Ob die Häufigkeit und Rentabilität von Bremsinstandsetzungen durch die Elektrifizierung zurückgehen wird, ist ein viel diskutiertes Thema. Ja, durch die starke Eigenbremsung des E-Motors wird die herkömmliche Reibbremse weniger beansprucht. Bei einem E-Auto kann ich aufgrund der Motorbremse vor der Ampel stehen bleiben, ohne überhaupt die Bremse zu betätigen. Einen Tesla kann ich im Prinzip relativ gut fahren, ohne großartig zu bremsen, aber dann ist die hintere Radbremse schnell komplett verrostet. Insofern wird sich der Bedarf einfach nur verschieben.

Ich tausche dann den Belag nicht mehr, weil er auf einen Millimeter runtergefahren ist, sondern wegen des Rosts. Sonst kommt das Auto nicht mehr durch die HU. Außerdem muss man ja auch bedenken, dass die Serviceintervalle nicht nur für den freien Markt ein Thema sind, sondern auch für die Vertragswerkstatt. Es ist also davon auszugehen, dass auch die Fahrzeughersteller den Bedarf genau im Auge behalten und in irgendeiner Form in der Serie darauf reagieren werden.“

Bei dem ganzen Hype um die Elektroautos – wie lange versorgen Sie Ihre Kunden denn noch mit Ersatzteilen für Verbrenner?

„Ich bin mir sicher, dass es noch lange Verbrenner geben wird. Ob E-Autos wirklich die alleinige Zukunft sind, muss sich meines Erachtens erst zeigen. Noch ist ja nicht bewiesen, dass ein Elektrofahrzeug so viel CO2-neutraler ist als ein Verbrenner – wenn ich den ganzen Fertigungsprozess und die Entsorgung und so weiter berücksichtige. Auch die nötige Infrastruktur ist noch nicht da. Momentan sorgen aus meiner Sicht noch die Förderungen für steigende Zulassungszahlen. Also ja, den normalen Belag für Verbrenner wird es noch lange geben – wenn auch vielleicht in einer anderen Materialzusammensetzung. Und um dem Umweltgedanken gerecht zu werden, arbeiten wir als Friction Expert kontinuierlich daran, Belag und Scheibe sauberer zu machen – zum Beispiel durch Verzicht auf Schwermetalle, gewisse Chemikalien oder Verbindungsmaterialen, aber auch durch umweltfreundlichere Verpackungen.

Zudem ist es Teil unserer Nachhaltigkeitsstratgie, die CO2-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Im Jahr 2021 konnten wir diese bereits um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr reduzieren. Somit leisten wir durch viele kleine Veränderungen bereits einen Beitrag zu grünerem Bremsen.“